Samstag, 16. Dezember 2006

Hilfe, die Preußen kommen! - Kain verklagt Abel

"Von der Maas bis an die Memel von der Etsch bis an den Belt", so weit müsse sich deutscher Boden mindestens erstrecken, das wusste schon der antisemitische Dichter des Deutschlandliedes Hoffmann von Fallersleben. Diese Schwärmerei ist nun schon etwas in die Jahre gekommen und seit 1841, dem Entstehungsjahr der Zeilen, hat sich so einiges getan: der eine oder andere von Deutschen angezettelte Weltkrieg zum Beispiel. Aber manch einer sieht das alles nicht so eng und gibt sich voll und ganz revisionistischen Träumereien hin, so als hätte es den Zweiten Weltkrieg nie gegeben . Die Preußische Treuhand beispielsweise will, dass Deutsche endlich wieder das ihnen "geraubte" deutsche Land bestellen dürfen um somit auch östlich von Oder und Neiße wieder richtig deutsch sein zu können. Die "GmbH & Co. Kommanditgesellschaft auf Aktien. Prussian Claims Society" versteht sich als Vertriebenenverband und hat nun beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auf Entschädigung für erlittenes Unrecht geklagt. In den Klagen wird Polen eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention vorgeworfen.

Nun hat sich zwar auf den Konten der sogenannten "Vertriebenen" seit 1949 die Summe von 74 Milliarden Euro an Entschädigungszahlungen angehäuft (im Entschädigungfond für Zwangsarbeiter stehen weniger als fünf Milliarden Euro zur Verfügung) , aber um Geld geht es den Treuhändern auch nicht, sondern darum, den Verlust ihrer deutschen Heimat rückgängig zu machen und somit ihren angeknacksten großdeutschen Stolz zu kitten. Das hieße dann in der praktischen Umsetzung, dass Deutsche mal wieder zuhauf in Polen einmarschieren um sich dort niederzulassen, denn die Preußische Treuhand strebt nicht mehr und nicht weniger als das Recht auf eine Rückkehr vertriebener Deutscher auf ihre einstigen Immobilien an. Sechs Jahrzehnte nach Kriegsende stellen Hardliner und Ewiggestrige unter den Vertriebenen die Nachkriegsordnung infrage und versetzen damit viele Polen in Angst und Schrecken. So hatten laut einer Umfrage im Jahr 2003 in der zentralpolnischen Woiwodschaft Swietokrzyskie[...] 77 Prozent der Einwohner Angst vor Forderungen der Deutschen. Holt die Kinder von der Straße, die Deutschen kommen! Allerdings in gnädig-friedlicher Mission: „Ich verzichte auf Rache und Vergeltung, aber nicht auf mein Recht!“

Doch während in Polen bittere Erinnerungen wieder wach werden ist man sich bei der Preußischen Treuhand alles andere als sicher über den Verlauf der deutsch-polnischen Geschichte. Davon, daß „über 50 Prozent der Deutschen in Pommern, Ostpreußen und Schlesien [...] die Nazis gewählt" haben und die Städte in der Region "Hochburgen der Nazis“ waren will man hier lieber nichts wissen. So hat auch Alexander von Waldow, Aufsichtsrat der Preußischen Treuhand, ein recht spezielles Geschichtsverständnis: Ja, die Deutschen hätten den Krieg begonnen, sagt er zum Beispiel – „aber wer hat ihn verursacht? Ich will das nicht vertiefen.“

Von Waldow fühlt sich ungerecht behandelt weil er von seinem Schloß Mehrenthin vertrieben wurde. Jetzt will er zurück, um ein Exempel gegen antideutsche Gräueltaten zu statuieren: "Unterdrückung und Diskriminierung der deutschen Bevölkerung" dürfe es in Polen nicht mehr geben und bereits erfolgte Missetaten müssen gesühnt werden, denn die "kommunistische polnische Regierung hat sowohl gegen Natur- wie Völkerrecht schwerstens verstoßen mit der Vertreibung der deutschen Bevölkerung" und müsse deshalb die Deutschen für erlittenes Unrecht entschädigen. Und da die polnische Regierung nicht gerade mit Begeisterungsstürmen auf diese "zynische Frechheit" der Deutschen reagiert hatte knöpfte sich von Waldow zunächst mal die heutigen Eigentümer des Anwesens vor. Obwohl von Waldow sein Verhältnis zu den Käufern seines früheren Hauses als freundschaftlich umschreibt fühlen sich diese von den regelmäßigen Besuchen des heimatlosen Rentners eher belästigt: "Ich finde, die Ziele der Preußischen Treuhand sind wahnwitzig. Geschichtliche Tatsachen werden ins Gegenteil verkehrt. Wenn diese Ziele umgesetzt werden, führt das zum Unglück vieler Menschen und stiftet Unruhe." Von Walodow schwelgt derweil in Nostalgie und träumt davon, dass „das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937“ fortbesteht.

Die Preußische Treuhand ist – nach dem geplanten Zentrum gegen Vertreibungen – wohl die bekannteste revisionistische Initiative, mit der die polnische Öffentlichkeit seit Juli 2003 konfrontiert wird, reiht sich also nahtlos in das sonstige Aktionsrepertoire der deutschtümelnden Unschuldslämmer ein, die laut Samuel Salzborn eine Geschichtsinterpretation reproduzierten, die geradewegs auf die Schaffung eines Mythos deutscher Kollektivunschuld zusteuert. Das "Zentrum gegen Vertreibungen" wurde vom Bund der Vertriebenen (BdV) initiiert und vor allem von dessen Präsidentin Erika Steinbach forciert. In einem offenen Brief mit dem Titel "Für einen kritischen und aufgeklärten Vergangenheitsdiskurs" äußert sich dazu eine Gruppe namhafter Wissenschaftler: "Die große Gefahr, die dieses Ansinnen in sich birgt, besteht in einer staatlich sanktionierten Umdeutung der Vergangenheit, ja einer Revision der Geschichte und der Torpedierung eines auf europäischen Dialog angelegten gesellschaftlichen und politischen Diskurses. " Obwohl dem BdV bereits mehrfach enge Kontakte ins rechte und geschichtsrevisionistische Lager bescheinigt wurden möchte man hier - trotz aller programmatischer Ähnlichkeiten - nichts mit den Schmuddelkindern der Preußischen Treuhand zu tun haben und distanziert sich fleißig. Sogar auf gerichtlichem Wege ließ der größte deutsche Vertriebenenverband feststhalten, dass jede Unterstellung einer Nähe des BdV zur Preußischen Treuhand eine Falschbehauptung darstelle. Zahlreiche personelle Überschneidungen lassen diese angebliche Distanz aber dennoch recht zweifelhaft erscheinen: Hans-Günther Parplies, der BdV-Landesvorsitzende in NRW, ist sowohl stellvertretender Aufsichtratsvorsitzender der Preußischen Treuhand als auch BdV-Vizepräsident - und somit Stellvertreter von Steinbach. Treuhand-Chef Pawelka sitzt ebenfalls im BdV-Bundesvorstand - in seiner Funktion als Bundesvorsitzender der schlesischen Landsmannschaft, die zusammen mit der ostpreußischen Landsmannschaft 50 Prozent der Treuhand GmbH hält. Beides Mitgliedsverbände des BdV.

60 Jahre sind aber auch wirklich genug und heute kann man sich auch in deutschen Landen wieder ungehemmt über die "eigenen Opfer" ausheulen. Es muss endlich raus; das Tabu muss gebrochen werden: Deutschland ist ein Opfer der Geschichte. Zuerst sind die geschundenen Deutschen schon von Hitler verführt worden, dem sie nur widerwillig und unter schlimmsten Gewissensbissen gefolgt sind, dann wurden Millionen deutscher Mitläufer bedroht, beschossen und vertrieben und heute schließlich will der Staat Polen noch nicht einmal das historische Ausmaß der Verbrechen an den Deutschen anerkennen. Und das alles wegen ein bisschen Weltkrieg und Auschwitz. Aber trotzdem, oder gerade deshalb: heute sind wir endlich wieder jemand! Fehlt zur Vollständigkeit des deutschen Glücks nur noch das einzig angemessene Territorium: von der Maas bis an die Memel.

In Polen indes hat man für diese Form der Zelebration deutscher Opfermythen nur ratloses Schulterzucken übrig. Der Lubliner Erzbischof Jósef Zycinski verdeutlichte sein Unverständnis gegenüber deutschen Wiedergutmachungsforderungen beispielsweise recht anschaulich mit einem Rückgriff auf biblische Geschichte: "Kain ist auch nicht auf den Gedanken gekommen, materielle Entschädigung für die Schäden zu verlangen, die er in der Folge des Todes Abels erlitten hat."

Amen.