Grün-grüne Zwietracht
Für den Verstorbenen ist die Frage zwar eher unerheblich - tot ist tot - die Eignung der Leiche für propagandistische Zwecke hängt jedoch von den genauen Todesumständen ab, genauer davon, von wem man erschossen wird. Ist der Schütze ein Israeli, so fühlt sich Amnesty International auf den Plan gerufen und das Mantra von der „Unverhältnismäßigkeit der israelischen Militäraktion“ wird in den Medien wieder angestimmt. Ist hingegen ein Palästinenser der Täter ändert sich schlagartig das Vokabular in der Berichterstattung. Dann wird das Töten auch mal als Bruderkampf beschrieben und dadurch der Eindruck vermittelt, dass die in Wirklichkeit verfeindeten Parteien zwar zerstritten, im tiefsten Herzen aber dennoch eine Einheit sind. Wie Geschwister eben so sind. "Und jetzt gebt euch die Hände und vertragt euch wieder."
Am 30. September 2000 filmte ein Kameramann des französischen Senders France 2 eine erschütternde Szene: Ein Vater und sein Sohn – sein Name, Muhammed al-Durah, wird die israelisch-palästinensischen Beziehungen über Jahre hinweg begleiten - suchen zusammengekauert hinter einem kleinen Betonsockel Schutz vor den Kugeln, die zwischen israelischen Soldaten und bewaffneten Palästinensern ausgetauscht werden. Der kurze Clip von Talal Abu Rahma vermittelt folgenden Eindruck: der erwachsene Mann im Video versucht verzweifelt durch Winken und Rufen auf sich und das Kind aufmerksam zu machen. Dies gelingt ihm aber nicht: nach mehreren Schwenks und Wacklern der Kamera sieht man den kleinen Jungen reglos am Boden liegen und den Mann, offensichtlich schwer verletzt, gegen die Hauswand gelehnt. Die Bilder hatten als Initialzündung für die Al-Aqsa-Intifada gewirkt, die verheerende Folgen hatte: Die Israelis zählten in den 1558 Tagen der al-Aqsa-Intifada 20.406 Anschläge, darunter 138 Selbstmordanschläge und 13.730 Schussüberfälle, sowie 460 Angriffe mit Qassam-Raketen. Es wurden jedoch Zweifel laut an den Informationen aus „palästinensischen Kreisen“, zu denen auch der Kameramann gezählt werden kann. So versuchte beispielsweise die Journalistin Esther Shapira den Vorgang mit Hilfe ballistischer Experten zu rekonstruieren und stellte ihre Ergebnisse in der herausragenden ARD-Dokumentation "Drei Kugeln und ein totes Kind - Wer erschoss Mohammed al-Dura?" der Öffentlichkeit vor. Trotz aller Probleme bei ihrer Recherche – sie wurde im Gazastreifen alles andere als höflich empfangen, außerdem wurden sämtliche Spuren der Geschehnisse gründlich verwischt - waren die Ergebnisse ihrer Untersuchung eindeutig: es könne ausgeschlossen werden, dass al-Durah von Israelis erschossen wurde. Neben Hunderten von Briefen, Anrufen, Mails und Artikeln die Shapira im Anschluß an die Sendung zugesandt wurden und deren Absender aus ihrer Feindseligkeit gegenüber Israel keinen Hehl machten war eine weitere persönliche Konsequenz für sie, dass sie von nun an unter Polizeischutz stand.
Die darauf folgenden Spekulationen über die Frage, ob al-Durah nun versehntlich von palästinensischer Seite getötet wurde, oder ob es sich um eine mit dem Kameramann und dem Vater des Jungen abgestimmte Aktion zur Produktion eines Symbols für die Intifada in Form eines jungen Märtyrers handelt scheint dabei für das Gewissen der Welt völlig irrelevant zu sein: der überwiegende Teil der Menschheit traut aus Prinzip keiner "zionistischen Propaganda" und trauert um den Jungen nach wie vor als eines von vielen Opfern des jüdischen Aggressors, und die wenigen, die den Enthüllungen glauben schenken verlieren ohnehin sofort nach Bekanntwerden einer palästinensischen Täterschaft das Interesse am Fall. Von Palästinensern getötete Kinder sind einfach bei weitem nicht so spannend wie jene, die durch israelische Hand umkommen. Da dies sicher auch daran liegen mag, dass letzgenannte Fälle tief verwurzelte antisemitische Reflexe durch Abruf des Programms "jüdischer Kindsmord" im kollektiven Gedächtnis aktivieren, können wir auch angesichts der neuerlichen Opfer palästinensischer Gewalt in den eigenen Reihen erwarten, dass ein Aufschrei von Amnesty International auf sich warten lassen wird und wir auch nicht in den Genuß von "Friedensgottesdiensten für den Nahen Osten" kommen werden.
Letzten Montag wurden drei Kinder eines Abbas-Vertrauten in Gaza erschossen. Die Attentäter hatten das Auto mit den Kindern von Oberst Baha Baluschain auf dem Weg zur Schule aus dem Hinterhalt angegriffen und alle Insassen des Fahrzeugs getötet, dabei hatten sie sich offenbar bewusst die Kinder Baluschas als Ziel ausgesucht, weil sie an den Offizier selbst nicht herangekommen sind. Die Fatah macht die Hamas für den Anschlag verantwortlich. Nun weist dieser Anschlag eigentlich alle Charakterzüge auf die für gewöhnlich Juden zugeschrieben werden, die sich nicht freiwillig ins Meer treiben lassen wollen: feige, unverhältnismäßig und voll blindem Hass. Dennoch vermisst man sowohl die emotionalen Pamphlete der deutschen Friedensbewegung, als auch einen Besuch einer Delegation der Linkspartei im Gazastreifen. Stattdessen wendet man sich lieber kollektiv der Bedrohung durch die israelische Atombombe zu.
Dabei nimmt die Intrafada kein Ende. Nur zwei Tage nach dem Tod der drei Kinder wurde ein Hamas-Richter im Gazastreifen von Unbekannten erschossen. Dieses mal sieht die Hamas die Verantwortung bei der Fatah. Dabei ist nach wie vor unbekannt, aus welchen Gründen der Richter als Ziel gewählt wurde. Vielleicht wurde er einfach nur der Kollaboration mit Israel verdächtigt, ein faktisches Todesurteil in den palästinensischen Gebieten, wird doch jede vermeintliche Zusammenarbeit mit Israel und Juden allgemein als Verrat angesehen und für gewöhnlich standgerichtlich mit dem Tode bestraft, sei der Vorwurf auch lediglich der Verkauf von Land an Juden.
Nun sind solche Vorfälle nichts Neues: während der ersten Intifada wurden mehr Palästinenser durch ihre eigenen, als durch israelische Waffen getötet. Dennoch scheint sich die Situation in den letzten Tagen einem lange nicht mehr gesehenen Ausmaß genähert zu haben. Ministerpräsident Ismail Hanija wollte nach zwei Wochen panarabischer Betteltour über Ägypten zurück in den Gazastreifen reisen. Hanija, der kein Blatt vor den Mund nimmt und Israel offen das Existenzrecht abspricht, war vor allem bei seinen islamistischen Freunden im Iran erfolgreich und hatte rund 35 Millionen Dollar als Unterstützung für seine antizionistischen Horden dabei; stilsicher im schwarzen Koffer. Auf Anordnung des israelischen Verteidigungsministers Amir Peretz haben israelische Soldaten jedoch den palästinensischen Ministerpräsidenten daran gehindert, über den Grenzübergang Rafah zurück in den Gaza-Strefen zu reisen indem sie kurzerhand den Grenzübergang gesperrt hatten. Daraufhin stürmten etwa 2000 zum Teil bewaffnete Anhänger der regierenden radikalen Hamas den Grenzübergang. Unter der Bedingung, die Finanzspritze für die Vernichtung Israel in Ägypten zurückzulassen wurde Hanija die Einreise ermöglicht. Dabei wurde ein Anschlag auf seinen Konvoi verübt, bei dem einer seiner Leibwächter getötet und fünf weitere Menschen verletzt worden seien, darunter Hanijas politischer Berater.
Daraufhin gab es schwere Zusammenstöße zwischen Hamas- und Fatah-Anhängern. Jetzt hat Präsident Abbas Neuwahlen ausgerufen, deren Verhinderung sich die Hamas sogleich auf die Fahnen geschrieben hat. So äußerte der palästinensische Außenminister Zahar in einem Interview, die Hamas werde "diese Wahlen [...] niemals zulassen". Die Folge waren erneute Ausschreitungen, was einige bereits von bürgerkriegsähnlichen Zuständen sprechen lässt. Die neuerlichen Spannungen müssen dabei als Fortetzung jener Rivalität der um Autorität konkurrierenden Parteien verstanden werden, die bereits im Juni zu erbitterten Kämpfen geführt hatte. Die Auseinandersetzungen werden seither mit einer Intensität geführt, die durch den Bedarf an neuen Waffen bereits Auswirkungen auf die Preise von Handfeuerwaffen zeigt. Das Jerusalem Center for Public Affairs hatte bereits im Juni vor den möglichen Konsequenzen der Machtkämpfe gewarnt: Israeli security sources are indeed concerned for the future of the PA as a functioning system. [...] Calling for early elections could well lead not to new elections but to the collapse of the PA. In such a case, Hamas would end its period of "calm" with Israel. Thus, instead of internal civil war, full-scale fighting against Israel could erupt that unites all the Palestinian factions. Another possible outcome could be a split between a Hamas-led government in Gaza and a Fatah-led government in the West Bank.
Unabhängig vom Ausgang der Rivalitäten scheint am Ende also zumindest eines sicher zu sein:
Der Verlierer heisst Israel.