Habilitiert sein schützt vor Torheit nicht
Nun hat das Schicksal beide zusammengeführt, in Gestalt einer furiosen, einmaligen Tempo-Sonderausgabe. Und für dieses geschichtsträchtige Ereignis haben sich die Macher etwas ganz besonderes einfallen lassen. Sie dachten sich eine „Deutsche Nationalakademie“ aus, die sie auf einer stümperhaft gemachten, nahezu „hoax!“ schreienden Internetpräsenz (mittlerweile offline) darstellten. Einzige Kontakperson ist Prof. Dr. Wendelin Däubler, ein scheinbar sehr zurückhaltender Gelehrter, so zeigt eine Google-Suche keinerlei Verdienste des Professors. Kurzum: die Tempo-Kreativen haben geschwindelt, und das nicht mal gut. Dennoch scheint es erstaunlich, dass von 100 deutschen Prominenten die von der Akademie mit dem Angebot angeschrieben wurden, einen Ehrendoktortitel der neu gegründeten Institution verliehen zu bekommen, sofern sie sich nur mit ihren Zielen und Idealen identifizieren könnten satte 14 davon dieses Angebot dankend annahmen: Hit-Produzent Dieter Bohlen (52) war einer der ersten, ließ ausrichten, er würde "sehr gern an der Zeremonie teilnehmen". Auch Schauspieler Fritz Wepper (65) erklärte, er sei "überrascht und geehrt". Für die Verleihung wollte er sogar Dreharbeiten in der DomRep unterbrechen. Ihnen gleich taten es Udo Walz, Meinhard von Gerkan und andere Leuchten des Showbiz – und eben auch Julian Nida-Rümelin.
Möchte man an diesem Punkt schon Schadenfreude empfinden über die Gier nach Anerkennung, die diese besonders erlesene Gruppe prominenter Menschen es versäumen hat lassen die Quelle der ihnen erwiesenen Ehre wenigstens sporadisch auf ihre Glaubwürdigkeit hin untersucht zu haben, so bekommt dieses humoristische Element bei Lektüre der Zielsetzung der Nationalakademie einen bitteren Beigeschmack. Die Informationen der Homepage sind äußerst knapp gehalten, so knapp, dass selbst viel beschäftigte deutsche Prominente die Ausführungen kurz überfliegen können. Lesen würden sie dann folgendes: Eine Weltanschauung, die bestrebt ist, dem demokratischen Massengedanken eine klare Ablehnung entgegenzubringen und der Elite des Volkes zu neuer Geltung zu verhelfen, muss auch dafür Sorge tragen, dass den besten Köpfen im Alltag und in der Politik der höchste Einfluss zukommt. Damit baut die Deutsche Nationalakademie nicht auf dem Gedanken der Majorität, sondern auf dem der Persönlichkeit auf. Sie setzt sich dafür ein, dass die Besten zum Zuge kommen und nicht das Mittelmaß.
Man kann sicher nicht von jedem erwarten erkennen zu können, dass es sich bei dem ersten Satz um ein Zitat aus Adolf Hitlers „Mein Kampf“ handelt, dies ändert freilich aber wenig an den antidemokratischen Aussagen des unter dem Menupunkt „Grundsätze“ präsentierten Textes. Als ihre „Aufgabe und Bestimmung“ gibt die fiktive Institution zu Protokoll: Dabei strahlt die Denk- und Politikschule der Deutschen Nationalakademie schon jetzt weit über das klassische „nationale“ Lager hinaus und erhält geistige Zuarbeit aus allen Kreisen der Bevölkerung. […]Damit wird ein geistiges Fundament geschaffen, um die Nation zu stärken und dem Nationalgedanken zu neuer Geltung zu verhelfen. Weiter schreiben sie, ihr Schwerpunkt liegt auf dem Gebiet der Erforschung deutscher Geschichte, deutscher Kultur und deutscher Nationalökonomie, was die FAZ herrlich schnippisch mit den Worten "Dreimal deutsch, das hält besser" kommentiert. Kurzum: jeder hätte die nationalitisch-antidemokratische Färbung der „Deutschen Nationalakademie“ erkennen können, was einige schließlich auch taten: mit Erleichterung liest man, wie wachsam einige - Ingo Schulze, Christoph Stölzl, Ulrich Wickert und Jürgen von der Lippe - den ganzen Elite- und Nationalsumms erkannt haben und mit deutlichen Worten ablehnen. So auch Christoph Stölzl, seines Zeichens CDU Kulturexperte fortgeschrittenen Alters. Dieser antwortete den Initiatoren in höflichem aber dennoch bestimmtem Tonfall: "Da ich mich aus dem vertrauten Haus unseres Grundgesetzes nicht fortbegeben möchte, bitte ich Sie, von der angedachten, mir durchaus zweifelhaften Ehre einer Dr. h.c.-Würdigung abzusehen."
Nun sollte man eigentlich gerade von einem Akademiker der einen Ehrendoktortitel zwar nicht nötig, dafür aber umso mehr einen bereits erarbeiteten Ruf zu verlieren hat größere Sorgfalt und Routine im Umgang mit dubiosen Anfragen und Angeboten erwarten können. Diese Gewissenhaftigkeit bewies Rümelin im Falle der "Deutschen Nationalakademie" allemal: er verfasste ein höfliches Antwortschreiben und legte einen Essay bei: „Sehr geehrter Herr Professor Däubler“ beginnt der Brief, in dem er sich für die große Ehre bedankt, die er annimmt, „da ich die Ziele und das Programm der Deutschen Nationalakademie ohne jeden Vorbehalt unterstützen kann.“ Beigelegt ist ein siebzehnseitiger Essay über die „normativen Bedingungen der Macht“. Nun könnte man ihm zugute halten, dass er vielleicht doch einfach zu schlampig gewesen sein könnte, um die braunen Versatzstücke in den Texten der selbsternannten Akademie erkennen zu können, hätten wir in der Vergangenheit nicht schon deutlich Schlimmeres aus den Federn der deutschen Intelligenz lesen müssen, z.B. das "Manifest der 25". Die FAZ jedenfalls ist sich sicher - wenn auch ohne weitere Begründung: Nida-Rümelin ist natürlich kein Deutschnationaler. Und auch der Spiegel möchte den Schritt nicht wagen, in der für die Promis recht peinlichen Aktion eben auch eines zu sehen: eine Indiz für die Normalisierung nationalistischer Töne, oder zumindest eine deutliche Ignoranz ihnen gegenüber: Ob es allerdings genug Stoff für die typisch steile "Tempo"-These vom neuen Nationalismus in Gestalt eines elitären "PR-Patriotismus" bietet, ist sehr zweifelhaft. Wer hätte auch etwas anderes erwartet...
Nein, Nida-Rümelin ist wahrlich kein deutschnationaler Extremist, sondern liegt einfach nur im guten deutschen Mittelfeld. Und das erkannte auch schon der Spiegel, wenn auch mit dem unter Gesichtspunkten der Logik höchst fragwürdigen Titel Rechtsextremismus in der Mitte angekommen. Grund für diese plötzliche Erkenntnis war die Studie Vom Rand zur Mitte der Friedrich-Ebert-Stiftung. Gedanken, wie die der "Deutschen Nationalakademie" sind schon längst zur bitteren Realität geworden, beziehungsweise lässt diese die Satire zum Teil reichlich blass aussehen: 15% der befragten Deutschen wünschen sich eine starke Führerfigur zurück, die das Land regieren soll; ebensoviele denken, Deutsche seien anderen Völkern von Natur aus überlegen und fast 40% sehen keinen Hinderungsgrund für die Etabliereung eines starken deutschen Nationalgefühls. So weit sind viele hier scheinbar gar nicht davon entfernt sich "eine Weltanschauung, die bestrebt ist, dem demokratischen Massengedanken eine klare Ablehnung entgegenzubringen und der Elite des Volkes zu neuer Geltung zu verhelfen" herbeizuwünschen.