Sonntag, 7. Januar 2007

Der Spiegel - Das Judentum ist unser Unglück!

Die Weihnachtszeit ist zwar bekannt dafür, untrennbar mit dem Transfer großer Mengen unnützer und hässlicher Geschenke verknüpft zu sein, keine Snoopy-Krawatte dieser Welt kommt dieses mal jedoch an die Geschmacklosigkeit der journalistischen Präsente heran: als ob ein "Antisemitisches Elaborat in der Zur Zeit-Weihnachtsausgabe" nicht gereicht hätte musste auch Der Spiegel seine Leserschaft mit pseudowissenschaftlich-theologischen Ergüssen beglücken: "Das Testament des Pharao" heisst die Titelstory der Weihnachtsausgabe vom 22. Dezember. Hannes Stein fasst bei der Achse des Guten (und in einem ähnlichen Beitrag für die Jüdische Allgemeine vom 4.1.) den Erkenntnisgewinn des Artikels von Matthias Schulz zusammen: "1. Die antike Welt sei eine Idylle der religiösen Toleranz gewesen, weil sie ja von Polytheisten bevölkert wurde, bis die Juden in sie einbrachen und durch die 'mosaische Unterscheidung' (Jan Assmann) zwischen wahrer und falscher Religion Hass und Zwietracht säten. 2. Die Juden hätten ihren Monotheismus von Echnaton geklaut, und die Exodusgeschichte hätten sie nur erfunden, um sich groß und mächtig zu fühlen. Zu diesen beiden Legenden lässt sich allerhand sagen, nicht aber, dass sie originell seien. Man findet sie in dieser und ähnlicher Form bei Verächtern der Juden von Schopenhauer bis Heinrich Himmler".

Und tatsächlich zeichnet der Artikel ein Bild von der Entstehung des Judentums, dessen filmische Umsetzung wohl unter der Rubrik "Splatter" verkauft werden müsste. So schreibt Der Spiegel: "Die aus Legenden geformte Vergangenheit der Israeliten besteht im Prinzip aus einer Abfolge von Massakern, Strafaktionen und Blutvergießen", man habe sich dabei auf den tyrannischen Gott Jahwe berufen, der "rachedurstig, ja rechthaberisch" sei. Dabei scheinen blanker Hass und Vernichtungswillen einziger Antrieb der Gläubigen gewesen zu sein, so schreibt Schulz, die frühen Juden hätten "zu Zwangsmitteln" gegriffen. "Ständig führten sie Wörter wie 'ausrotten', 'töten', 'ausmerzen' im Munde". Der Akt der ersten Beschneidung erscheint im Spiegel als brutales Blutbad: "Der Mohel nahm das Baby, ritzte mit dem Fingernagel dessen Vorhaut ein und riss sie ab – ein blutiges Attentat, das sich wie ein Mal in den Körper brannte [...] Es ist dieser Ritus, der zur Ausbildung einer kollektiven kultischen Identität der Juden führte." Der Blog Chajms Sicht stellt da vollkommen zurecht fest, ein passenderer Titel für den Artikel wäre "Grausige Riten im dunklen Tempel" gewesen. Für den Spiegel scheint das Judentum nichts weiter, als ein Konglomerat seltsamer Rituale und Grausamkeiten zu sein, die sich in einem obskuren und obendrein natürlich mächtigen Kult darstellen: "In diesem düsteren Kultbau auf dem Zionsberg [...] liefen einst alle Fäden zusammen. Bärtige Priester mit Kleidern, an denen blaue Kordeln hingen, liefen in dem Gemäuer umher. Sie schlachteten Stiere. Bei einem der Riten benetzten sie ihre Ohrläppchen mit Widderblut. Mit der Wahrheit nahmen es die bigotten Anhänger des Ewigen allerdings nicht so genau."

Dabei war die Idee, die von den Juden mit so viel Blutvergießen durchgesetzt werden sollte streng genommen nicht mal ihre eigene, denn "die Juden kupferten ab. Ihre Idee vom einen Gott stammt in Wahrheit aus – Ägypten." Die einzige Innovation des Judentums wäre demnach, dass es "mit dem Schwert" durchgesetzt wurde. Pharao Echnaton sei hingegen das Original in Sachen Monotheismus, habe er doch bereits im 14. Jahrhundert vor Christus der Vielgötterei ein Ende bereitet und die Anbetung des Sonnengottes Aton durchgesetzt. Matthias Schulz beruft sich dabei hauptsächlich auf das Buch "Moses der Ägypter" des Ägyptologen Jan Assmann. Assmann, dessen Arbeitsschwerpunkt die Erforschung von "Kultur und Gedächtnis" ist, schreibt darin, eine Spur der Erinnerung ziehe sich von Echnaton ausgehend über die monotheistischen Religionen bis in die Gegenwart. Schon früh wurde ihm vorgeworfen, den polytheistischen Kosmotheismus in Ägypten zu verherrlichen und den monotheistischen Religionen - vor allem dem Judentum - jegliche Kreativität abzusprechen. So schreibt Thomas Assheuer in der Zeit: "Das alte Ägypten, schreibt er [Assmann; T.E.], sei der jüdischen Gründungssemantik als Feindbild eingeschrieben, oder weniger vornehm ausgedrückt: Der Monotheismus ist eine Gegenreligion, die ihren Seinsgrund nicht aus sich selbst, sondern allein aus der Abgrenzung zu einer 'primären' Religion gewinnt". Den vermeintlichen Ursprungort des Monotheismus, Ägypten, beschreibe Assmann hingegen in "derart leuchtenden Farben [...], dass der Leser nicht immer weiß, wo die Wissenschaft endet und die retro-romantische Idyllisierung beginnt". Assman verteidigt seine These vom Ursprung des Monotheismus auch in einem Interview mit dem Magazin Tachles , in dem er die Zeit Echnatons als "ersten monotheistischen Umsturz der Geschichte" bezeichnet und nebenbei noch ein paar alte antisemitische Klischees aufwärmt, wenn er meint, "Gott hat sich sein Volk erwählt".

Bei all diesen Grausamkeiten in der Geschichte des Judentums wundert es nicht, dass Der Spiegel auch die gegenwärtige Gewalt im Nahen Osten den Juden in die Schuhe schieben möchte. "Der Mörder ist immer der Jude" möchte man fast meinen, wenn man liest, wie beiläufig der Autor Matthias Schulz eine Jahrtausende währende Kontinuität jüdischer Täterschaft unterstellt und dabei das Bild vom unverbesserlichen "ewigen Juden" reproduziert: "Gleichwie: 2500 Jahre danach ist der Nahe Osten immer noch ein Pulverfass". Ivo Bozic stellt dazu in seinem Blog Planet Hop fest: "Vor allem das 'Gleichwie' ist eine Offenbarung. Nach dem Motto: Egal, wie es nun wirklich war, und ob das alles, was da vorher in diesem Text steht, irgendwie Hand und Fuß hat, beweist doch allein die Tatsache, dass im Nahen Osten 'immer noch' Unfriede herrscht, was hier gesagt werden sollte. Da hätte man den ganzen theologisch-historischen Schmonzes vorher auch weglassen können". Damit hätten sie dem Leser auch viel Zeit erspart, denn eine komprimierte Fassung des Artikels, die dennoch alle notwendigen Informationen enthält hätte einfach lauten können: "Die Juden sind der Quell allen Übels". Der Blog Apocalypso bringt den offenen Antisemitismus beim Spiegel mit dessen wiederentdeckter Deutschtümelei in Verbindung: "Wie lange soll Matthias Mattussek noch Kulturchef des Spiegels bleiben, da es klar ist, dass die Etablierung der Deutschtümelei als Leitkultur des Blattes nun auch dessen dunklen Bruder ans Licht bringt, den offenen, verleumderischen Antisemitismus?"

Nun hat die Jüdische Allgemeine dem Thema in ihrer Ausgabe vom 4.1. einen kleinen Artikel gewidmet. Die Autorin Sylke Tempel lässt darin unter anderem Micha Brumlik zu Wort kommen, der erwartungsgemäß angemessene Worte für die antisemitische Frechheit des Spiegel findet: "Im Wesentlichen wird hier wiederholt, was nationalsozialistische Wissenschaftler propagiert haben: Nämlich die Unwahrheit des Judentums nachzuweisen". Besonders erschreckend sei, so Brumlik, dass "der Chefredakteur eines bislang angesehenen Magazins der Republik ausgerechnet zu Weihnachten die bislang antisemitischste Titelgeschichte beschert hat". Martin Doerry, der stellvertretende Chefredakteur des Spiegel, zeigt sich angesichts der Vorwürfe "ratlos". Dass es ihm dabei eigentlich vielmehr an Wissen mangelt wird später deutlich: "Antisemitismus ist doch Rassismus. Was aber ist an der These des Artikels rassistisch? Kann man in der Vermutung, dass die jüdische Religion ihre Ursprünge auch im Monotheismus des Pharaos Echnaton hat, einen rassistischen Kern erkennen?" Es ist doch immer wieder erbaulich zu beobachten, wie empört Antisemiten sind, wenn sie Antisemiten genannt werden.