Donnerstag, 25. Januar 2007

John Pilger und Junge Welt - ein Traumpaar

Bei der Berichterstattung über Terror im Nahen Osten kommt man sich nicht selten vor, wie ein Zuhörer im Gerichtssaal während des Schlußplädoyers des Angeklagten: es mag ja sein, dass er seine Frau verprügelt hat, aber das ehrenwerte Gericht müsse doch verstehen, dass er eine schlechte Kindheit hatte, in ärmlichen Verhältnissen aufwachsen musste und überdies auch schon selber in seinem Leben wiederholt Opfer von Gewalt wurde. Er könne quasi gar nicht anders als Zuzuschlagen, da ihn seine Umgebung zu dem geformt habe, was er heute ist. So wie der häusliche Gewalttäter auf die Anerkennung mildernder Umstände pocht, so fordern auch die Terroristenversteher in aller Welt, die schwierige Lebenssituation der Suicide Bomber und Bombenbastler als entlastendes Moment einzuführen. Am Terrorismus sind eben alle schuld, nur nicht die Terroristen und im Falle Israels reicht schon die Gründung des winzigen Staates als Rechtfertigung für arabischen Unmut, der sich am liebsten als Kassam- oder Katjuscharegen auf israelische Zivilisten artikuliert, da ist es auch egal, dass es antisemitische Gewalt im Nahen Osten bereits lange vor 1948 gab. Der australische Journalist John Pilger (siehe Foto) geht sogar noch einen Schritt weiter: nicht nur, dass die Juden in Israel selbst schuld daran sind, wenn sie gehasst werden, sondern in Wirklichkeit seien die Israelis und ihre Handlanger in den USA die wahren Terroristen, gegen die sich Hamas, Hisbollah & Co. lediglich zu verteidigen versuchen. Anschläge als Akt des Widerstands also. New York, Madrid, London? "Ätsch, selbst schuld!" denkt sich Pilger und schreibt in seinem Artikel "The real threat we face is Blair" folgendes: "If the alleged plot to attack airliners flying from London is true - remember the lies that led to the invasion of Iraq, and to the raid on a 'terrorist cell' in east London - then one person ultimately is to blame, as he was on 7 July last year. They were Blair's bombs then; who doesn't believe that 52 Londoners would be alive today had the Prime Minister refused to join Bush in his piratical attack on Iraq?" Da kann er seine Schadenfreude natürlich nur schlecht verbergen.

In der gestrigen Ausgabe der Jungen Welt konnte der Leser die deutsche Übersetzung eines typischen Werkes von John Pilger bestaunen. Übersetzt wurde der Artikel, der im Original in der britischen Wochenzeitung New Statesman erschien, für die nationalbolschewistische Leserschaft des ehemaligen FDJ-Blattes von Ellen Rohlfs, die Mitglied von Gush Shalom ist und gerne gegen rachlüstige jüdische Nazis zu Felde zieht, wie zum Beispiel in ihrer Eröffnungsrede zur "Stop the Wall-Konferenz" 2004 in Köln: "Vergessen wir nicht, dass die [...] nahöstliche Tragödie die Fortsetzung der europ. bes. der deutschen Vernichtungsgeschichte am jüdischen Volk ist. Seit 56 Jahren leidet nun ein anderes Volk, das nichts mit dieser europ. Geschichte zu tun hat, an der 'fehlgeleiteten Rache' der damaligen Opfer." Kein Wunder , dass sich die fleißige Ellen sofort voller Freude auf den Text Pilgers gestürzt hat um ihn Stolz den dankbaren Deutschen zu präsentieren, schließlich stoßen beide doch ins gleiche Horn. Im Artikel "Schweigen über Gaza" beschreibt Pilger den Gazastreifen als "großes Gefängnis" - natürlich mit jüdischen Wärtern - , in dem die Menschen "wie in einem Käfig leben" müssen. Trotz dieser belastenden Anklagepunkte seien sich "zu viele westliche Juden" ihrer kollektiven Schuld nicht bewusst und würden lediglich "'Danebenstehen' und 'Zusehen'" während sich vor ihren Augen Szenen abspielten, die denen im "Nazi-KZ in Bergen-Belsen" gleichen. Pilger begnügt sich nicht mit der Beschreibung des typisch jüdischen Blockwarts, sondern spielt das "Guter Jude-Böser Jude"-Spiel, lobt "jene Juden, die die humanistischen Traditionen des Judentums achten" und meint damit wahrscheinlich Finkelstein, Avnery und andere Hofjuden der Antisemiten. Karl Pfeifer kommentiert diesen Absatz im Text von John Pilger gewohnt brillant in einem Beitrag für Die Jüdische: "Haben die Juden aus Bergen Belsen die Deutschen mit Raketen beschossen? Was sollen solche perversen Vergleiche? Sie tragen natürlich bei, zum Erfolg der Bücher und man wird gerne eingeladen, um zu bestätigen, was man in unseren Breitengraden so gerne hört, 'die Juden sind nicht besser als unsere Ahnen, die schauen ja auch bloß zu'." Schützenhilfe also für eine deutsche Spezialität namens "sekundärer Antisemitismus". Dass John Pilger auch andere Spielarten des Antisemitismus beherrscht, beweist er uns durch die Darstellung seiner Version der jüdischen Weltverschwörung: "Daneben stehen und nur zusehen, das ist das, was fast alle US-Kongreßmitglieder als Hörige oder Eingeschüchterte der zionistischen 'Lobby' tun" erkärt er seinen Lesern, für die diese Information wahrscheinlich keine allzu große Neuigkeit darstellt. Immerhin hat er sich in seiner stark komprimierten und aktualisierten Version der "Protokolle der Weisen von Zion" die Mühe gemacht, zusätzlich zum bekannten Vorwurf der Israelhörigkeit die USA als von den Juden "eingeschüchtert" zu bezeichnen und somit die Macht und die Schlagkraft der Zionistenlobby zu unterstreichen.

Dass es am Ende die Juden sind, die alle Fäden in Händen halten hat Pilger in der Vergangenheit bereits mehrfach betont, besonders eindrucksvoll in seinem Artikel "John Pilger on terror in Palestine" für den New Statesman. Die Rechnung ist sehr simpel: Bush beherrscht die Welt, die NeoCons steuern Bush, und die zionistische Lobby kontrolliert die Neocons; ergo: die Juden beherrschen die Welt. Das liest sich dann so: "The 'neoconservatives' who run the Bush regime all have close ties with the Likud government in Tel Aviv and the Zionist lobby groups in Washington." Quod erat demonstrandum. Aber damit nicht genug, möchte Pilger auch noch beweisen, dass machtgeile Zionisten nicht nur die Bush-Administration, sondern auch das Pentagon und sogar Tony Blair steuern: "Until recently, a group of Zionists ran their own intelligence service inside the Pentagon. This was known as the Office of Special Plans [...]. It was the Office of Special Plans that supplied Downing Street with much of its scuttlebutt about Iraq's weapons of mass destruction; more often than not, the original source was Israel." In einem Text von Antisemitism and Xenophobia Today wird auf den Ursrung dieser antisemitischen Verschwörungstheorie hingewiesen. Demnach erschien die Mythe vom "Office of Special Plans" zum ersten mal im von Lyndon LaRouche herausgegebenen Blatt Executive Intelligence Review. Pilger folgt also LaRouche und glaubt, dass eine kleine aber gemeine zionistische Lobby die Welt beherrscht und somit auch für sämtliches Leid des Globus die Verantwortung trägt. Da ist es nur allzu verständlich, dass er Gewalt gegen jene, die den jüdischen Plan ausführen - also vor allem die USA und England - aber auch gegen jene, die diesem Vorhaben keine Kassam-Raketen entgegensetzen wollen für gerechtfertigt hält und als Akt der Befreiung anpreist: "The current threat of attacks in countries whose governments have close alliances with Washington is the latest stage in a long struggle against the empires of the west, their rapacious crusades and domination", so schreibt er als Reaktion auf die Anschläge von Madrid. Deutlich Innovativeres hat er bereits an anderer Stelle hervorgebracht: "According to Freedland [ein britischer Journalist, der für den Guardian und die Jewish Chronicle schreibt; T.E.], the present Israeli regime is merely 'a clumsy prizefighter driven to fury by a fly buzzing around its ears'. His description of the entire Palestinian resistance as buzzing flies would be shocking if it did not accurately reflect Israeli racism, itself a virulent form of anti-semitism." Die Behauptung, die Israelis seien nicht nur schlimmer als die Buren, sondern auch moderne Nazis ist zwar nichts, was der geneigte Antiimperialist nicht schon längst hätte wissen können, neu ist allerdings die Behauptung, dass israelische Politik nicht nur rassistisch, sondern auch antisemitisch ist. Die Grundlage für diese wirre These ist vermutlich die Erkenntnis, dass es sich bei Palästinensern auch um Semiten handelt, eine genaue Begründung für solche und ähnliche ahistorische Kurzschlüsse wird aber meist auch nicht eingefordert, schließlich ist eines an diesem Punkt verdeutlicht worden, was Antisemiten von Fichte über Marr bis Wagner schon immer wussten, nämlich dass aus dem Judentum nichts Gutes erwachsen kann.

Natürlich darf auch das Stereotyp von der zionistischen Kontrolle der Medien im Repertoire Pilgers nicht fehlen. In seinem Artikel "John Pilger on Israel and the media" erläutert er, wie die israelische Lobby die Berichterstattung der Medien steuert, selbstverständlich unter Zuhilfenahme der Antisemitismuskeule. "The media 'coverage' has long reversed the roles of oppressor and victim" halluziniert er und zeigt sich anschließen erstaunt darüber, dass "Israelis are never called terrorists." Stattdessen werden - welch himmelschreiende Ungerechtigkeit! - jene heldenhaften palästinensischen Freiheitskämpfer als Terroristen denunziert, die Pilger in blumiger Rhetorik der 80er Jahre Antiimp-Sozialromantik beschreibt: "ordinary Palestinians cried 'enough!' and rose up in the second intifada, armed mostly with slingshots", so verklärt er den palästinensischen Terrorismus. In Bezug auf die Wirksamkeit israelischer Propaganda kommt er schlußendlich zum Ergebnis: "Goebbels would have approved". Dabei weigerten sich nach Meinung Pilgers die israelischen Juden in ihrer Arroganz und Blindheit für historische Parallelen, ihre eigene goebbelsche Vergangenheit und Gegenwart anzuerkennen und aufzuarbeiten. Wie Antisemiten von der Hamas bis zur Hisbollah längst wissen ist alleine schon die Gründung des Staates Israel ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, und so erklärt Pilger in seinem Artikel "John Pilger sees Israel denying its past" für den New Statesman: "Ethnic cleansing attended the birth of Israel but, more than 50 years later, the country is still in denial about its bloody past."

So manches mal erstaunt es dann doch ein wenig wenn man sieht, mit welcher Empörung teilweise die Publikation antisemitischer Texte in der Jungen Welt quittiert wird; so als ob man sich eigentlich etwas anderes hätte erwarten können. Dabei passt einer wie Pilger doch wunderbar ins Konzept und fügt sich bestens ins Sortiment ein, als Ergänzung zu Mellenthin und Pirker. Die ideologischen Überschneidungen sind nur allzu deutlich: die wahren Schurken dieser Welt sitzen in Washington und der Downing Street, planen ohne jede Moral die weitere Ausbeutung des Globus und säen Zwietracht unter den Menschen, um die Massen leichter beherrschen können. Das gleiche simple Weltbild also, das große Teile der deutschen Linken schon seit Jahrzehnten dominiert, sei es als offizielle Politik der DDR oder als Zeichen freiwilliger Naivität und geistiger Verblendung. Eine Disney-Version der kapitalistischen Verfasstheit der Welt, mit einem hässlichen Bösewicht, der ohne Vorwarnung und mit unvorstellbarer Grausamkeit in die allgemeine Idylle einbricht, und einem edlen Prinzen, der lediglich mit einem Schwerte bewaffnet loszieht, um den Despoten unschädlich zu machen. Und im Kampf gegen das Böse sind alle Mittel erlaubt, denn es geht in dieser Schlacht um nicht mehr und nicht weniger als die Freiheit und das Glück der Menschheit. Ganz gleich, wie viele Suicide Bomber sich vor Cafés im Irak in die Luft sprengen und wie viele Katjuschas auf israelische Wohngebiete niederprasseln, Junge Welt und John Pilger nehmen die Mörder in Schutz, schließlich sei der Auslöser für die Gewalttätigkeiten nicht in der Ideologie der Jihadisten, sondern auf der Seite der Opfer zu suchen. Ob eine solche Aufzählung von Mythen und Legenden als Verteidigungsstrategie vor Gericht juristisch bestand hätte und "mildernde Umstände" geltend gemacht werden können ist zwar fraglich, eines aber hingegen ist sicher: ein solches Ausmaß an Wahnsinn und Paranoia, wie John Pilger es in seinen Artikeln erkennen lässt, würde ihn vor jeder gerichtlichen Verurteilung schützen: der Mann ist schlicht unzurechnungsfähig.