Dienstag, 23. Januar 2007

Tausendsassa Abbé Pierre - Armenpriester, Revisionist, Antisemit

Gestern ist Abbé Pierre im Alter von 94 Jahren in einem Pariser Krankenhaus verstorben und Frankreich hat somit den Verlust seines "sozialen Gewissens" zu beklagen. Vor fast fünfzig Jahren gründete er die Hilfsorganisation Emmaus aus der heute eine weltweite Bewegung geworden ist, "deren Ziel es ist, soziale Ungerechtigkeit zu bekämpfen und sich für ein menschenwürdiges Leben einzusetzen." Diesem Kampf hat Abbé Pierre sein Leben gewidmet und so wurde er in Frankreich als Volksheld gefeiert. Gewiss hat er viel Gutes in seinem Leben vollbracht, das ohne jeden Zweifel auch gewürdigt werden muss. Dennoch gab es da auch immer die andere Seite des französischen Geistlichen. Beispielsweise wird er die Geschehnisse in Teheran in den letzten Wochen seines Lebens als eine gewisse Genugtuung empfunden haben. Der iranische Präsident Ahmedinedschad empfing Anfang Dezember die internationale Crème de la Crème der Holocaustleugner, um darüber zu diskutieren ob die Vernichtung von sechs Millionen Juden tatsächlich stattgefunden hat. Handle es sich bei der Shoa um eine Lüge, so gebe es keine Rechtfertigung für die Existenz des Staates Israel, sei der Holocaust - wider allen Erwartungen - doch ein reales historisches Ereignis, so müssten die Deutschen als Täter die Konsequenzen ziehen und einen jüdischen Staat im Herzen Europas ermöglichen. Der Ausgang der "Holocaust-Konferenz" stand somit von vornherein fest, wie Boris Kalnoky in der Welt zusammenfasst: "Holocaust hin, Holocaust her, der Staat Israel muß verschwinden".

Zehn Jahre musste der französische Abt, der eigentlich Henri Grouès heisst, warten bis seine Forderungen endlich in die Tat umgesetzt wurden. Schon 1996 berichtete der Telegraph von Plänen des katholischen Geistlichen, die denen eines Ahmedinedschad recht ähnlich sind: "To forbid research into the worst crimes in history risks that the younger generation will wonder what certain people have to hide" wetterte er und forderte ebenfalls eine Konferenz von "Wissenschaftlern", die sich der Frage annehmen und ihre Ergebnisse dazu veröffentlichen sollen. Wen Abbé Pierre damit meint, wenn er von "bestimmten Leuten" spricht, die etwas "zu verheimlichen" hätten lässt sich erahnen und nährt natürlich auch weitere Spekulationen über die Freude, die der Nachfolger des Bernhard von Clairvaux empfunden haben muss, als er von den Plänen des Verrückten aus Teheran erfuhr, immerhin liest sich die Einladung zur Holocaustleugner-Konferenz fast so, als hätte der iranische Präsident vom Abt abgekupfert.

Zur Konferenz wurde auch Roger Garaudy eingeladen, ein langjähriger Freund von Abbé Pierre. Garaudy hat eine bewegte Karierre hinter sich: sie begann in verschiedenen kommunistischen Gruppen, brachte ihn in den Siebzigern auf die Kandidatenliste für die Präsidentschaftswahl und mündete schließlich in im Geschichtsrevisionismus und seiner Konversion zum Islam. 1998 wurde er wegen Leugnung des Holocaust von einem französischen Gericht zu einer empfindlichen Geldstrafe verurteilt. Grund für die Verurteilung war sein 1996 erschienenes Buch "Die Gründungsmythen der israelischen Politik". Abbé Pierre, der Kämpfer gegen Armut und Ungerechtigkeit, verfasste daraufhin einen Brief* zur Unterstützung des Holocaustleugners Garaudy, den er mit den Worten "Mein lieber Roger" beginnt und mit der Formel "Dein Bruder" beendet. Weiter schreibt er ihm: "Ich bitte Dich, entnimm diesen fast unleserlichen Zeilen, die wir gemeinsam am Telefon lesen werden, die Kraft und die Treue meiner Liebe und meine Achtung für die riesige Arbeit Deines neuen Buches. Es mit dem in Verbindung zu bringen, was man 'Revisionismus' nennt, ist ein Betrug und eine Beleidigung, begangen von Unwissenden. Ich umarme Dich und versichere Dir, dass Du und die Deinen mir jeden Tag, der mir gegeben ist, den geringen Einsatz, den ich noch zu leisten vermag, zu vollbringen, nahe seid."

Reaktionen auf diese unappetitliche Sympathiebekundung gab es von verschiedenen Seiten. Nach Informationen des Israelischen Außenministeriums bekam der gütige Geistliche mit dem weissen Rauschebart Applaus vom syrischen Mufti Ahmed Kaftaru: "The mufti Ahmed Kaftaru sent a letter of support to Abbé Pierre who backs the historian Roger Garaudy[...]. The letter contained anti-Semitic and anti-Zionist defamatory remarks." Andererseits gab es auch Konsequenzen, die dem Quasi-Heiligen deutlich weniger gut gefallen haben dürften, so wurde er beispielsweise vom Vatikan aus seiner Diözese in Frankreich entfernt und nach Italien strafversetzt. Jean-Marie Kardinal Lustiger, der Erzbischof von Paris, kommentierte die antisemitischen Ausfälle von Abbé Pierre als "naiv and fundamentalist", wie auf der Homepage der Anti-Defamation League nachzulesen ist. Die Äußerungen seien als "attack on Israeli policy and [...] against Zionism and Jews in general" zu verstehen. Die Internationale Liga gegen Rassismus und Antisemitismus entschloß sich gar dazu, Abbé Pierre aus dem Ehrenvorstand auszuschließen, wie die französische Zeitung L'Humanité berichtet.

Bereits in der Vergangenheit hatte sich der "Vater der Obdachlosen" mit Äußerungen hervorgetan, die denen eines Hohmann oder Edward Said durchaus ebenbürtig sind. Denn wie auch sie versucht er klarzustellen, dass sich die Zeiten seit dem Zweiten Weltkrieg geändert haben und heute andere politische Konstellationen vorherrschen als damals: mag zwar sein - und so sicher ist sich der französische Abt bei der ganzen Angelegenheit dann doch nicht - dass die Juden früher mal Opfer gewesen sind, doch heute sind sie zum kollektiven Täter avanciert, dessen Grausamkeit selbst die Nazis wie Chorknaben aussehen lässt. Robert Wistrich, der Direktor des Vidal Sassoon Center for the Study of Antisemitism, fasst in einem Beitrag für das American Jewish Committee den Antisemitismus von Abbé Pierre folgendermaßen zusammen: "Across the European Union, it has become commonplace to declare that 'the Jews, once victims, have become executioners.' This remark of France’s most popular Catholic priest, Abbé Pierre, was made as far back as 1991. Since then, Abbé Pierre has not tired of repeating the ugly canard that the Jews invented genocide; that their Old Testament faith is relentlessly legalistic, tribal, and punitive; and that Zionism is a uniquely vicious example of the ravages inflicted by capitalist globalization on the 'wretched of the earth.' Such beliefs explain why Father Pierre chose to defend the Holocaust denial theories of his close friend Roger Garaudy — a lapsed Catholic, ex-Stalinist convert to Islam, and a culture hero to millions of Arabs." Die Causa Garaudy wäre demnach keinesfalls ein einmaliger Ausrutscher, sondern hat zahlreiche Anknüpfungspunkte in der Biographie des Abbé Pierre.

Jetzt ist der christliche Wohltäter gestorben und die Welt trauert um ihn. Die Tagesschau berichtet beispielsweise über ihn, er sei "vor allem durch die Hilfsorganisation Emmaus" bekannt geworden, "die er nach dem Krieg ins Leben rief. Seitdem kämpfte er gegen Armut und Wohnungsnot in Frankreich." Während des Zweiten Weltkrieges half er "Juden bei der Flucht", was natürlich den Judenhass gegen Ende seines Lebens schnell in den Hintergrund treten lässt. Von seinem Brief an Garaudy oder seinen antisemitischen Tiraden hört man aktuell kein Wort: über Tote sollte man bekanntlich nicht schlecht reden, und über einen Volkshelden erst recht nicht. Und genau dies scheint er in Frankreich über Jahrzehnte hinweg gewesen zu sein, so schreibt die Berliner Zeitung, sein Name sei "in Frankreich so bekannt wie der von Asterix". Laut Umfragen wurde der Armenpriester mindestens vierzehn mal in Folge zum "nationalen Vorbild" gewählt. Doch nicht nur auf der Beliebtheitsskala lag er immer ganz weit vorne. Alain Coutte hat sich die Arbeit gemacht, im Buch "Prêcheurs de Haine" von Pierre-André Taguieff nachzuzlählen, wie oft welche Personen als "Hassprediger" bezeichnet werden. Die Ergebnisse: Abbé Pierre liegt mit einem wohlverdienten neunten Platz direkt hinter Tariq Ramadan, José Bové und Israel Shamir. Er war eben ein wirklicher Tausendsassa: Armenpriester, Revisionist, Antisemit, Hassprediger.

(*) Der Brief kann im Wortlaut auf einschlägigen revisionistischen Internetseiten nachgelesen werden.